Land der tausend Seen
Okt 24th, 2009 | By admin | Category: Für Anfänger und Fortgeschrittene, Land und LeuteDiese Farben: In sattem Gelb blüht der Raps unter strahlend blauem Himmel. Die Sonne blinzelt durch die grünen Blätter der Bäume, die sich entlang der Straßen zu eindrucksvollen Alleen formiert haben. Die Farben in Mecklenburg-Vorpommern leuchten stärker als anderswo in Deutschland: Das Gelb ist gelber, das Blau blauer, das Grün grüner als im Rest der Republik. Eine Reise in das Land der tausend Seen zwischen Berlin und Ostsee – und zu drei neuen Gutsherinnen.
„Wenn die Welt untergeht, dann begebe dich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 100 Jahre später”, soll der erste Kanzler des Deutschen Kaiserreichs, Otto von Bismarck, einmal gesagt haben. Heute werben Reiseführer mit diesem Bonmot des „Eisernen Kanzlers“ für das Bundesland im Nordosten Deutschlands. Sie zielen damit auf die idyllische Schönheit Mecklenburg-Vorpommerns.
Hier ist vieles tatsächlich noch wie früher. Das Land ist dünn besiedelt, Felder und Wiesen erstrecken sich bis zum Horizont. Neben mondänen Seebädern und turbulentem Strandleben an der Ostseeküste mit ihren Inseln und Halbinseln hat Mecklenburg-Vorpommern vor allem eines zu bieten: Natur und Ruhe pur.
Wer die Seele baumeln lassen möchte, wer Stille und Einsamkeit sucht, kann sich kaum ein besseres Reiseziel aussuchen. Wasser ist das bestimmende Element: Tiefblau ruhen die über 1000 Seen der Mecklenburgischen Seenplatte, die von Ferne silbern glänzen. Das Wasser bahnt sich seinen Weg durch sanfte Flüsse, Bachläufe und schmale Kanäle. Es rauscht, plätschert und schwappt leise gegen die Ufer. Wasser beruhigt – und es belebt. Ob nun beim Schwimmen, Paddeln, Segeln, Surfen, Tauchen oder Wasserski fahren. Das Wasser gibt den Rhythmus vor in der größten zusammenhängenden Seenlandschaft Europas.
Weiter nördlich, im Herzen Mecklenburgs, wird die Landschaft hügeliger. Hier liegt die Mecklenburgische Schweiz. Eine einzigartige Kulturlandschaft, in der zwischen Hügeln und Seen kleine Städte und Dörfer hocken. Nirgendwo in Europa ist die Dichte an Schlössern, Gutshäusern und Herrenhäusern größer als in dem Landstrich auf halbem Weg zwischen Berlin und der Ostsee. Und vielerorts warten die Häuser auf neue „Gutsherren“ und „Gutsherrinnen“, die wieder Leben in die alten Gemäuer bringen – und Touristen in den Nordosten locken.
Wer einmal hier war, der kommt wahrscheinlich wieder. Denn Mecklenburg Vorpommern macht süchtig. So sanft und zugleich trotzig wild, so stolz und doch zurückhaltend, so gotisch streng und romantisch verspielt, so leise, aber doch so intensiv.
Überhaupt diese Stille. Für manche Gäste ist das am Anfang kaum zu ertragen. Etwa für einen Urlauber aus der Großstadt, der im Gutshaus Gottin, im Herzen der Mecklenburgischen Schweiz, Erholung suchte. Hausherrin Linde Fritz – eine pensionierte Lehrerin aus Stuttgart – schmunzelt, wenn sie von ihm erzählt: „Dem war es hier zu ruhig und er konnte nachts nicht schlafen. Aber ein paar Jahre später schrieb er mir, dass er sich jetzt ein Haus in Mecklenburg gekauft hat.“
Linde Fritz selbst war zum ersten Mal nach der Wende in Mecklenburg-Vorpommern. „Ich habe gleich das Gefühl gehabt: ,Hier bin ich zu Hause’”, erzählt die Lehrerin, die ihre Wurzeln in Hinterpommern, im heutigen Polen, hat und bis 1945 dort in einem kleinen Dorf eine glückliche Kindheit verbrachte. Dass sie nach ihrer Pensionierung der Großstadt den Rücken kehren und im Norden in ein kleines Häuschen auf dem Land ziehen würde, war schon lange Teil ihrer Lebensplanung.
„Jedes Haus sucht sich seine Gäste aus“
Aus Norden wurde Nordosten. Aus dem netten kleinen Häuschen auf dem Land wurde ein Herrenhaus aus dem Jahr 1833, das heute 14 Gästezimmer, eine Ferienwohnung, einen Salon, eine Bibliothek, Sauna und einen Weinkeller beherbergt. Zum Haus gehört außerdem ein Park mit altem Baumbestand und einer Fülle von Historischen und Englischen Rosen. Aus dem Ruhestand wurden tägliche Arbeitszeiten von 6 Uhr morgens bis spät in den Abend.
Ihren „Ruhestand“ begann Linde Fritz in einer Ruine. Wie fast alle ehemaligen Landsitze und Herrenhäuser war auch das Gutshaus Gottin fast komplett verfallen. „Es war sogar ausgesprochen hässlich. Aber ich hatte eine Vision, wie es aussehen müsste und ich wollte sie Wirklichkeit werden lassen“, sagt die 75-Jährige.
Die Bauarbeiten zogen sich in die Länge. Das Geld wurde knapp. Immer neue Probleme tauchten auf. „Es war hart“, sagt sie im Rückblick. Zweieinhalb Jahre hat die ehemalige Lehrerin auf der Baustelle „gelebt“: in einem unbeheizten Zimmer mit Kochplatte und einer provisorischen Duschkabine.
Von der Not der Anfangsjahre ist heute nichts mehr zu sehen und zu spüren. Mittlerweile ist das Gutshaus Gottin in die Liste der bedeutendsten Anlage des Landes Mecklenburg-Vorpommern aufgenommen worden. „Jedes Haus sucht sich seine Gäste aus“, ist Linde Fritz überzeugt. Ihre Gäste lieben die Natur, suchen Ruhe und interessieren sich für Kultur, so wie die zwei Freundinnen, die sich jedes Jahr gemeinsam eine Auszeit von der Familie nehmen oder die Musik-, Mal- oder Frauengruppen, die unter ihrem Dach Erholung und Inspiration gleichermaßen finden.
Im Frühstücksraum klappert das Geschirr. Am großen Frühstückstisch essen die Gäste gemeinsam: Künstler und Sportler, Paare und Singles, Ossis und Wessis. „Dieser Ort ist eine Begegnungsstelle. Die Ost-West-Grenze kann man nicht durch Seminare bewältigen, sondern nur durch Gespräche“, sagt Linde Fritz, die heute „wahrscheinlich nicht mehr ohne Schwierigkeiten im Westen leben könnte“. Hier – in einer Region am unteren Ende des Wohlstandsgefälles – muss man sich nicht damit beschäftigen, welche Handtaschenmode gerade angesagt ist. Den Händen darf man ansehen, dass sie gerade noch im Gartenbeet gewühlt haben. Das gefällt Linde Fritz, der pensionierten Lehrerin aus Stuttgart.
Azubi-WG im Dorf
In den „wilden Osten“ hat es auch Claudia Schaffhausen aus Hamburg verschlagen – da war sie gerade Anfang 20 und voller Tatendrang. In der Werbeagentur ihres Vaters hatte sie schon oft gearbeitet, Events und Messeauftritte geplant. „Ich bin eher praktisch veranlagt und ich hatte und habe die Vision, mit Freunden zusammen auf dem Land zu leben und zu arbeiten“, sagt Claudia Schaffhausen. Die Idee: ein exklusives Tagungshotel in Mecklenburg-Vorpommern.
Die Wirklichkeit auch hier: ein verfallenes Gutshaus. „Aber es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt die 34-Jährige. Der Vater investierte und begleitete das „Start up“ von Tochter Claudia, die nebenbei in Berlin Kommunikation und Marketing studierte und an den Wochenenden auf dem Gut mit anpackte.
Mit einer Mitarbeiterin teilt sie sich heute noch die Wohnung. Die Auszubildenden leben im Dorf zusammen in einer Wohngemeinschaft. Heute gehört Gut Gremmelin zu den besten Tagungshotels in Deutschland. Firmen schicken ihre Führungskräfte zum Seminar hierher, an den Rand der Mecklenburgischen Seenplatte. Im Hochseilgarten oder beim Floßbau wird die Teamfähigkeit geschult. Aber auch Kochkurse und Kurzreisen für Gourmets, Hochzeiten, Familienfeste, Empfänge und Präsentationen gehören zum Programm.
Körbe voller Post für das Dornröschenschloss
Ganz aufs Heiraten hat sich Monika Muschke eingestellt. Die Frankfurter Finanzdirektorin hat in ihrem gut bezahlten Job für ein renommiertes Kosmetik-Unternehmen die halbe Welt bereist – und sich Mitte der 90er Jahre in das Land zwischen Ostsee und Seenplatte verliebt. „Ist das toll hier“, hat sie immer wieder gedacht, als sie durch´s Land fuhr. Zu Hause in Frankfurt hat sie zwei Jahre lang von Mecklenburg Vorpommern geschwärmt – und 1997 Schloss Bredenfelde in der Nähe des Müritz-Nationalparks gekauft.
Eine Ruine. Man stand schon im Keller unter freiem Himmel“, erzählt Monika Muschke. Sie hat aus der Ruine das Hochzeitsschloss Nummer Eins in der Region gemacht. Wer hier den Bund fürs Leben schließen will, muss sich rechtzeitig anmelden. In diesem Jahr ist das Schloss komplett ausgebucht. Doch das war nicht immer so. „Im Frühjahr 2002 war ich pleite“, gibt die Geschäftsfrau offen zu. Die Bauarbeiten hatten alle Reserven aufgebraucht. Aber nach einem Fernsehbeitrag über ihr Schloss kam die Briefträgerin mit Körben voller Post – adressiert an „Das Dornröschenschloss“.
An die Dreharbeiten kann sie sich noch genau erinnern. „Das war ein Teil der Serie ,Verrücktes Wohnen´. Ich musste aus dem Fenster schauen und bestimmt ein Dutzend Mal sagen: ,Schon als kleines Mädchen war es mein Traum, in einem Dornröschenschloss zu leben.´”, erzählt Monika Muschke. Es hat sich gelohnt: Die Leute waren begeistert. „Es gibt im Leben wichtigere Sachen als teure Klamotten. Das brauche ich alles nicht mehr“, sagt die ehemalige Finanzdirektorin. Wenn sie heute shoppen gehen will, dann fährt sie zu Ikea und kauft Servietten und Kerzen – für ihr Schloss.
Zufrieden sind sie – die Gutsherrinnen und Schlossdamen. Allerdings sind sie finanziell und auch körperlich bis an ihre Grenzen gegangen – und oft darüber hinaus. Aber hier in Mecklenburg Vorpommern ist das Gelb gelber, das Blau blauer, das Grün grüner als im Rest der Republik. Das ist den Einsatz wert.
Text und Fotos: Eva Stern | Deutsch perfekt 6/2009
Links zu den beschriebenen Gutshäusern:
Gutshaus Gottin | Gut Gremmelin | Schloss Bredenfelde